Titel-Historie





150 Jahre Neandertaler


Vom wildromantischen Künstlertreff zum frühindustriellen Kalkabbau - das Tal

Das Neandertal liegt ungefähr 13 Kilometer östlich von Düsseldorf. Zwischen Mettmann und Erkrath hatte das Flüsschen Düssel eine enge, bis zu 60 Meter tiefe Schlucht in den devonischen Kalkstein geschnitten. Das Tal wies ursprünglich zahlreiche Höhlen und Klüfte auf, die größeren Höhlen waren benannt. Sie lagen am südlichen und nördlichen Ufer vis - á - vis, so die Teufels- und Engelskammer, die Feldhofer Grotten, die Neanderhöhle mit der Leuchtburg, einem Felsenbogen, der Pferdestall und die Löwengrube (von Osten nach Westen genannt). Kurzum - es war ein wildromantischer Ort mit bizarren Felsformationen, Bäumen, der typischen Vegetation, wie man sie auch heute noch aus Kalksteintälern kennt (Abb.1.). Der reformierte Prediger und Rektor der Düsseldorfer Lateinschule, Joachim Neumann, übersetzte seinen Namen, der Mode des 17. Jahrhunderts entsprechend, ins Griechische und nannte sich fortan Neander. Er suchte das Tal häufig auf, um sich seinen Musikkompositionen zu widmen. Sein bekanntestes Lied ist „Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren…“. Man kann sich bildlich vorstellen, wie er im Tal lustwandelte und die Akustik der Höhlen nutzte. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Schlucht ihm zu Ehren „Neanderthal“ genannt, die alten Namen waren „Gesteins“ oder „Hundsklipp“. Das Tal war äußerst beliebt bei den Künstlern der Düsseldorfer Malerschule. Dort übten sie sich im Zeichnen, Skizzieren und Malen. Die wenigen überlieferten Abbildungen des unberührten Tales gehen aus dieser Schule hervor. – Wo Künstler verweilen sind auch Festivitäten nicht weit – schon im 18. Jahrhundert feierten sie im Tal. Die Neanderhöhle am nördlichen Düsselufer war besonders beliebt, vermutlich weil die Durchgangshöhle eine beeindruckende Länge von ca. 27 Meter aufwies. Das Eingangsportal war mit 7,5 mal 3 Metern auch äußerst beachtlich (Abb.2.). Die Industrialisierung des Ruhrgebietes trug dazu bei, dass dem heiteren Treiben im Tal bald ein Ende gesetzt wurde. Aufgrund des Kohleabbaus expandierte die Eisen- und Stahlproduktion und benötigte dringend Zuschlagstoffe - wie Kalkstein. Was in kleinen Steinbrüchen mit dem Abbau von „Brandkalk“ und „Mamorplatten“ begann, weitete sich in verheerender Weise auf das ganze Tal aus. Daraufhin verlegte man ab 1858 die Künstlerfeste in eine historische Gartenanlage nach Düsseldorf, weil die Kalkfelsen und Höhlen des Neandertales systematisch zerstört wurden.

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(Abb 1.) Neanderstuhl und Feldhofer Kirche (im Hintergrund), aus Bongard 1835.
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(Abb 2.) Der talseitige Eingang der Neanderhöhle, aus Bongard 1835.
Am richtigen Ort zur richtigen Zeit - die Endeckungsgeschichte

Die Steinbrucharbeit war eintönige, schwere körperliche Arbeit - Hacken, Stemmen, Schippen, …meistens über 12 Stunden am Tag, 6 Tage die Woche. Wenn Lehmlager im Kalkstein vorhanden waren, mussten diese beseitigt werden um den Kalkstein nicht zu verunreinigen. Die zwei Steinbrucharbeiter, die zum abbauen des Lehms aus der „kleinen Feldhofer Grotte“, einer niedrigeren nicht begehbaren Höhle eingesetzt waren, gingen ihrer Arbeit nach. Es schien sie nicht zu beeindrucken, dass sie während des Abbaues Knochen im Lehm sahen, sie warfen sie mit dem Lehm über die Abbruchkante des Felsens, hinunter ins Tal, fast 20 Meter tief. In diesem Moment kam der Mitbesitzer des Steinbruchs Wilhelm Beckershoff vorbei. Er betrachtete die in dem Höhlenlehm verbliebenen Knochen und erinnerte sich an den Lehrer Dr. Johann Carl Fuhlrott (Abb.3) aus Elberfeld, der ihm bekannt war als ambitionierter Naturforscher mit einer besondern Vorliebe für Fossilien. So wies W. Beckershoff die Steinbrucharbeiter an, die im Lehm verbliebenen Knochen zu bergen und die bereits ins Tal geworfenen wieder herauf zu holen. Die Begeisterung der Steinbrucharbeiter ist vorstellbar – es war August – Hochsommer - endlich ist der Mistlehm weg…und jetzt sollten sie 20 Meter ins Tal klettern, den staubigen Lehm durchsuchen und die Knochen wieder rauf tragen. Die Umstände der Auffindung waren sicher nicht die Günstigsten, dennoch wurden immerhin 16 Knochen bzw. Knochenfragmente geborgen, darunter die Kalotte, die bereits im Tal gelandet war. Der zweite Steinbruchbesitzer Friedrich Wilhelm Pieper brachte J. C .Fuhlrott zur Kenntnis, dass im Steinbruch ein beachtlicher Fund gemacht worden war, ein Bär wie er vermutete und lud ihn ein, diesen in Augenschein zu nehmen. Dem Umstand, dass die Knochen von den Steinbruchbesitzern nicht als menschlich erkannt worden waren, hatte J. C. Fuhlrott es höchstwahrscheinlich zu verdanken, dass sie ihn überlassen wurden. Hätten sie erkannt, dass es sich um Menschenknochen handelte, wäre es vielleicht zu einem Fall für die Gendarmerie geworden, mit anschließender Beisetzung auf dem Gemeindefriedhof. So geschehen mit den 1852 in Frankreich entdeckten paläolithischen Funden aus der Höhle in Aurignac, die kurz nach ihrer Auffindung in geweihter Erde bestattete wurden. Der Fund wurde am 9. September 1856 durch die Bonner Zeitung bekannt gemacht, der kurze Artikel endete mit dem Satz: „Vielleicht trägt dieser Fund zur Erörterung der Frage bei: ob dieses Gerippe einem mitteleuropäischen Urvolke oder bloß einer (mit Attila?) streifenden Horde angehört haben.“ Die Bonner Anatomieprofessoren Hermann Schaaffhausen (Abb.4) und Franz Josef Carl Mayer, sind vielleicht durch diesen Artikel auf den Fund aufmerksam geworden und wandten sich an J. C. Fuhlrott, mit der Bitte, ihnen den Fund zur Untersuchung zu überlassen.

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(Abb 3.) Johann Carl Fuhlrott

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(Abb 4.) Hermann Schaaffhausen
Schöpfung contra Evolution - Wissenschaft und Zeitgeist anno 1856

Georges Baron de Cuvier, der französische Geologe und Paläontologe, behauptete im Jahre 1812, das es keinerlei Beweise für die Existenz fossiler Menschen gebe. Dieses Dogma behinderte viele Jahre die Forschung; im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Aussage durch verschiedene Funde immer zweifelhafter. Die Zeit des Umbruches war gekommen - man gab sich nicht mehr damit zufrieden, merkwürdige Dinge in Kuriositätenkabinetten zu präsentieren, man wollte auch wissen was es damit auf sich hat und warum. In diesem Zeitabschnitt liegt die Wiege der heutigen wissenschaftlichen Disziplinen wie Anthropologie, Archäologie, Geowissenschaften, Biologie usw. Die damaligen Gelehrten waren nicht so spezialisiert wie heute, aber sie hatten ihre Vorlieben. Es gab konservative und progressive Wissenschaftler. Die konservativen Forscher hatten es zu der Zeit oft einfacher, weil Ihre wissenschaftlichen Arbeiten mit der Schöpfungsgeschichte der Bibel konform gingen. Der Begriff vorsintflutlich war für die meisten Menschen dieser Zeit begreifbar. Wesen, die vor der Sintflut gelebt hatten und danach nicht mehr, das war wohl richtig so und gottgefällig. Laut Bibel ist die Erde von Gott in sieben Tagen erschaffen worden. Es ist verständlich, dass sich viele Zeitgenossen darüber echauffierten, dass die Wissenschaftler diese Realität in Frage stellten, denn sie konferierten über geologische Ablagerungen, Fossilien, urtümliche Menschen und Abstammungslehre. Das waren die heiß diskutierten Themen der Zeit, die Sir Charles Darwin mit seinem 1859 in London erschienenem Werk „On the Origin of Species by Means of Natural Selektion, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life” auf den Punkt brachte. Wobei sein 1871 veröffentlichtes Werk „The Descent of Man and Selection in Relation to Sex“, das war, in dem er die Evolution als Begriff präzisierte und aufzeigte, das Affen und Menschen gemeinsame Vorfahren hätten. Hier vertrat er, selbst für viele Kollegen aus der Fachwelt, zu revolutionäre Ideen, die ihn sehr viel Spott und Häme einbrachten. Dass die Menschheit, die „Krönung“ Gottes Schöpfung sich aus anderen Lebewesen entwickelt haben sollte – das ging zu weit, das war in Augen vieler schlichtweg Ketzerei, denn in letzter Konsequenz würde bei diesem Ansatz ein Schöpfer einfach überflüssig.

  Lithogrfie

(Abb 5.) Lithografie der Schädelkalotte aus Fuhlrotts Publikation von 1859. Die Dendriten, für Fuhlrott ein Hinweis auf ein hohes Alter des Fundes, sind besonders hervorgehoben.
Ein Gelehrtenstreit erster Güte - die Wissenschaftler

Die Auffindung des Düsseldorfer Neandertalers fiel in die „richtige“ Zeit. Andere Neandertalerfunde die vor den Publikationen von z. B. Ch. Darwin und H. Schaaffhausen gemacht worden waren, verschwanden wissenschaftlich unbeachtet und unerkannt in den Sammlungen der Museen. J. C. Fuhlrott identifizierte die Skelettreste als menschlich und urtümlich und gestand ihnen ein fossiles Alter zu. Er veröffentlichte sie 1859 in dem Aufsatz „Menschliche Ueberreste aus einer Felsengrotte des Düsselthals“ und hatte für das fossile Alter unter Anderem mit den auf den Knochenoberflächen vorhandenen Dendriten argumentiert (Abb.5). Während der Lagerung des Fossils im Sediment entstehen an den Knochenoberflächen Eisen- und Manganablagerungen. Diese scheiden sich aus wässerigen Lösungen ab. Aufgrund ihres bäumchenförmigen Umrisses werden Sie Dendriten (griech. Déndon = Baum) genannt. Die Redaktion der „Verhandlungen des naturhistorischen Vereines der preussischen Rheinlande und Westphalens“ ging nicht mit seiner Meinung konform und setzte unter seinen Artikel kurzerhand einen Kommentar, der das unmissverständlich zum Ausdruck brachte. Hier blies J. C. Fuhlrott nicht zum letzten Mal der strenge, konservative Wind der örtlichen wissenschaftlichen Korefähen entgegen. Schon lange vorher, bereits 1856 war er mit den Skelettresten zu H. Schaaffhausen (Abb. 4) nach Bonn gereist und fand einen Verbündeten. Er traf auf einen progressiven jungen Wissenschaftler mit internationalen Kontakten. H. Schaaffhausen hatte bereits 1853 einen Artikel mit den Titel „ Ueber Beständigkeit und Umwandlung der Arten“ veröffentlicht. Er schloss den Menschen aus einer Entwicklungsreihe nicht aus und vertrat die Meinung, dass das ausgestorbene Mammut und der Mensch durchaus parallel existiert haben und schloss daraus, dass es durchaus fossile Menschenreste geben müsse. Es war eine geradezu revolutionäre Arbeit für die damalige Zeit. H. Schaaffhausen bearbeitete den Neandertalerfund und Veröffentlichte die anatomische Erstbeschreibung. Wenn man seine Arbeiten heute liest, muten sie nur angesichts der damals üblichen Formulierungen etwas antiquiert an. Beeindruckend sind seine moderne Arbeitsweise und umfangreichen Kenntnisse der zeitgenössischen Fossilfunde. Anlässlich der immer dringlicher werden Detailfragen in der Diskussion mit anderen Wissenschaftlern, befragte J. C. Fuhlrott zwei Jahre nach Auffindung des Neandertalers die Arbeiter, die seinerzeit den Fund gemacht hatten in Anwesenheit eines Anwaltes zu den Fundumständen. Er erfuhr nichts Neues - es ist zu bezweifeln, ob der von J. C. Fuhlrott eingeschlagene Weg, mit einem Advokaten anzurücken, so geschickt war… 1860 bekam J. C. Fuhlrott prominenten Besuch, der britische Geologe Sir Charles Lyell wollte sich vor Ort die ausgeräumte und fast abgebaute Fundhöhle ansehen, um sich selbst ein Urteil zu bilden. Er zeichnete später aus seiner Erinnerung eine Skizze (Abb 6). Die Zeichnung ist die einzig belegte zeitgenössische Darstellung zur Lage der Fundhöhle. Ch. Lyell, lässt bei dieser Gelegenheit mit der Einwilligung J. C. Fuhlrott´s einen weiteren Gipsausguss der Kalotte fertigen und legt ihn nach seiner Rückkehr Thomas Henry Huxley vor. Beide Wissenschaftler waren Anhänger der Evolutionstheorie und gingen in ihren bedeutenden Veröffentlichungen von 1863 auch auf den Neandertalerfund ein. Andere wissenschaftliche Größen ihrer Zeit glaubten nicht an die Fossilität des Fundes und versuchten die Besonderheiten der Knochen anders zu erklären. Der bekannteste von ihnen war Rudolf Virchow, er war einer der bedeutendsten Wissenschaftler seiner Zeit. Er diskutierte mit Politikern wie Bismarck und klagte die hygienischen Bedingungen in Großstädten schonungslos an, er war Anatom und Pathologe und wusste was Krankheiten und Unterernährung einem menschlichen Körper zufügen können (Abb.7). R. Virchow gelang es erst 16 Jahre nach Entdeckung des Fundes unter abenteuerlichen Bedingungen den originalen Fund persönlich zu untersuchen. Tatsache ist, dass dieser große Wissenschaftler die Abwesenheit von J. C. Fuhlrott nutzte, um (wahrscheinlich) dessen Tochter dazu zu überreden, ihm die Knochenfunde zu zeigen. 16 Jahre lang hatte man ihn verwehrt, den Fund zu untersuchen und somit auch an der Diskussion um den Neandertalerfund teilzunehmen…dieser Faktor könnte einen nicht unerheblichen Einfluss auf seinen Standpunkt zu der Interpretation des Fundes durch J. C. Fuhlrott und H. Schaaffhausen ausgeübt haben. Er stellte eine Menge krankheitsbedingte Abweichungen an den Skelettresten fest, die auch heute noch Gültigkeit haben. Er kritisierte die fehlende Schichtdokumentation (Grabungszeichnungen), die für eine eindeutige zeitliche Einstufung erforderlich ist. Das keine Beifunde gemacht wurden, erschwerte die Ansprache zusätzlich. R. Virchow hatte selbst schon Höhlengrabungen durchgeführt und bestätigte die Anwesenheit vom Menschen in der „Rennthierzeit“ (jünger), aber der Existenz von Menschen in der „Mammuthzeit“ (älter) wollte er nicht zustimmen. Dabei war ganz nah dran, den Nachweis für eben diese Tatsache zu selbst zu erbringen. Schreibt er doch in einer seiner Publikationen über die westfälischen Höhlen, dass er ein bearbeitetes Artefakt unter einem Mammutstoßzahn fand. Er interpretierte die Funde offensichtlich nicht in diesem Sinne. R. Virchow vertrat die Theorie, dass die Abweichungen der Knochen des Neandertalers vom modernen Menschen krankheitsbedingt seinen und nicht etwa Kennzeichen einer archaischen Menschenart. Aufgrund seiner Autorität führte sein nachdrückliches Festhalten an dieser Meinung bis ins hohe Alter zur enormen Beeinträchtigung der Anthropologie in dieser Frage. Es ist auf H. Schaaffhausens Fahne zu schreiben, dass der Neandertalerfund nach J. C. Fuhlrott`s Tod im Jahre 1877 nicht ins Ausland verkauft wurde. Das damalige Provinzialmuseum in Bonn erwarb die Skelettreste auf seine Empfehlung hin. Auch bemühte er sich mit einigen Verbündeten und Mitstreitern die Diskussion um den Neandertaler nicht erlahmen zu lassen. Das war ein besonders schwieriges Unterfangen, da R. Virchow sich als ein schier übermächtiger Gegner entpuppte. Aufgrund des Wissenschaftsdisputes wurden längst vergessene frühere Neandertalerfunde wieder ins Licht gerückt, wie der von 1848 aus Gibraltar. Neue Funde wurden gemacht so 1886 die Neandertalerfunde von Spy, in Belgien und begierig untersucht. Dort wurden zwei Individuen geborgen, denen der Gesichtschädel nicht fehlte wie dem Neandertaler aus der kleinen Feldhofer Grotte. Die Beifunde waren Überreste von Ren, Nashorn, Pferd, Bär, Hyäne und Mammut – und es gab Steinartefakte. H. Schaaffhausen reiste nach Belgien und untersuchte, mit Zustimmung des dortigen Bearbeiters, die Funde. Später ließ er auf Basis dieser Neandertalerfunde die erste Rekonstruktionszeichnung anfertigen.

  Skizze

(Abb 6.) Talszizze von Sir Charles Lyell 1863

Zeichnung

(Abb 7.) Rudolf Virchow























Lithografie

(Abb 8.) Zeitgenössische lithographische Darstellung des edlen wilden Urmenschen, nach Muston um 1887.

Rekonstruktion

(Abb 9.) Rekonstruktionszeichnung des Neandertalers vom Maler Philliphart nach Angaben H. Schaaffhausen um 1888.

Vom edlen Wilden zum Keulenschwingenden Monster - der Neandertaler

Zuerst ging es darum den Fund des Neandertalers gegen ein damals gültiges Weltbild als Fossil zu etablieren. Als nächstes wurde durch den Vergleich mit anderen Neandertalerfunden eine Frühmenschenart definiert. Im Laufe der Zeit veränderte sich das Bild des Neandertalers, mal wurde er in die direkte Ahnenreihe mit einbezogen und mal ausgeschlossen. Manchmal war er ein brutaler Draufgänger, dann wieder ein tumber Tor; er war Kannibale und liebevoller Krankenpfleger, die Interpretationen hatten immer etwas damit zu tun, welche Lehrmeinung die jeweiligen Bearbeiter bevorzugten und natürlich in welcher Zeit sie lebten. Heute ist bekannt, dass die Neandertaler die ersten Menschen waren die ihre Toten bestatteten, und häufig mit Grabbeigaben versahen. Im Zeitalter der Romantik und Aufklärung entsprach das Bild des Neandertalers dem des edlen, mit der Natur in Einklang lebenden Wilden. Dies jedoch ohne anthropologischen Hintergrund, wie in der 1887 erschienenen Lithographie von Muston dargestellt (Abb. 8). 1888 erschien das umfassende Werk von H. Schaaffhausen „ Der Neanderthaler Fund“, in diesem ist die erste Rekonstruktionszeichnung, auf Basis der Funde von Spy, veröffentlicht. Er hatte die Zeichnung von dem Maler Phillipphart ausführen lassen und bemängelte den Ausdruck des Blickes, er erschien ihm zu mild (Abb.9). Bereits 1909 war das Bild des „edlen Wilden“ vollkommen mutiert. Auf Basis der Fundsituation von Krapina 1899 (Kroatien) wurde der Neandertaler als Kannibale interpretiert. Ähnlich verheerend wirkte sich die Interpretation des 1908 in Frankreich gemachten Neandertalerfundes, des „alten Mannes von la Chapelle - aux - Saints“, aus. Dieser bestattete Neandertaler, der auf Grund seines hohen Alters an Knochenkrankheiten litt, führte dazu, dass der Neandertaler immer mehr aus dem „menschlichen“ Stammbaum verdrängt wurde. Niemand konnte und wollte sich vorstellen, dass ein „ so wilder Vormensch“ gesellschaftliches Leben und Sozialverhalten pflegte. Im Jahre 1909 entwarf Frantisek Kupka ein Monstrum von erschreckender Brutalität und Wildheit. Der Neandertaler hat wahrscheinlich diesem Entwurf zu verdanken, in jeder weiteren Darstellung seine obligatorische Keule zu tragen (Abb. 10). 1933 entstand eins von vielen Modellen des Neandertalers von Frederick Blaschke für das Field Museum of Chicago. Er hatte 1927 mit dem Kurator des Museums, Henry Field, eine Europareise angetreten, um sich die Knochenfunde anzusehen. Das man sich hier von den „Vormenschen“ absetzen wollte, wird hinlänglich klar; aber ein Wesen, dem der Stumpfsinn aus den Augen schaut, ist sicher nicht in der Lage sich 240.000 Jahre erfolgreich den Widrigkeiten der eiszeitlichen Natur zustellen. Diese Darstellungen waren bald überholt (Abb. 11). Als die Forschung nach dem zweiten Weltkrieg wieder geordnete Bahnen angenommen hatte und neue Neandertalerfunde vorlagen, ging es nicht mehr nur um den Fund als solches. Lebensumstände und Umwelt wurden ebenfalls in die Betrachtungen mit einbezogen. Zdenek Burian, der 1962 stellte den Neandertaler dar, wie niemals zuvor gesehen. Er war ein Künstler, der sich mit sämtlichen Epochen der Erdzeitalter auseinandersetzte und von dem man sicher annehmen kann, dass er nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit arbeitete (Abb. 12). Aber die Neandertalerforschung ging weiter, 1970 setzt Gerhard Wandel ein Modell um, das den Neandertaler enthaart und nachdenklich zeigt, das erste Mal menschlich…(Abb.13). Die gegenwärtigen Neandertalerdarstellungen (Kind, Frau, Mann) bestechen in erster Linie durch ihre technische Umsetzung. Sie sind heute immer noch nicht frei von gesellschaftspolitischen Aussagen, vornehmlich das Rollenverständnis von Mann und Frau betreffend.

  Rekonstruktion

(Abb 10.) Rekonstruktionszeichnung des Neandertalers von F. Kupka um 1909.

Rekonstruktion

(Abb 11.) Modell einer Neandertalerin mit Kind von F. Blaschke um 1930. Der Künstler fertigte mehrere Figuren, sie wurden im Field Museum in Chicago aufgestellt.

Rekonstruktion

(Abb 12.) Rekonstruktionszeichnung des Neandertalers von Z. Burian.

Rekonstruktion

(Abb 13.) Rekonstruktion des Neandertalers von G. Wandel, diese Figur wurde jahrelang im alten Neanderthal - Museum gezeigt.

 

Restaurierung

Atelier-EigenArt

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© H.Krainitzki

1. Februar 2006